Marc Plitzko ist der Umweltbeauftragte der Gemeinde Stuhr. Wir haben ihm Fragen rund um den Umwelt- und Naturschutz in unserer Gemeinde gestellt. Hier sind seine Antworten.
Wie beurteilen Sie den Einsatz der Gemeinde Stuhr für Natur- und Umweltschutz?
Die Gemeinde Stuhr versucht im Rahmen ihrer Möglichkeiten einen Beitrag zum Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen sowie zum Schutz von Arten- und Lebensräumen zu leisten. Neben gesetzlichen Pflichtaufgaben, wie den laut Bundesnaturschutzgesetz geforderten Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen für kommunale Bauplanungen, umfasst das gemeindliche Engagement auch eine Vielzahl freiwilliger Aufgaben. Zu nennen sind hier zunächst die Pflanzung von mittlerweile 30 ha Babywald und die Sicherung des 26 ha großen, naturnahen, aus Buchen und Eichen bestehenden, Klosterholzes. Freiwillige Maßnahmen sind weiterhin das kommunale Fechtwiesenprogramm, mit dem die Gemeinde den Erhalt artenreichen Feuchtgrünlands unterstützt, sowie die Anlage von Blühflächen, die blütenbestäubenden Insekten Lebensraum bieten. Zudem betreibt die Gemeinde, dort wo es mit der Nutzung vereinbar ist, eine extensive Grünflächenpflege und sie verzichtet grundsätzlich auf den Einsatz von Pestiziden.
Die Notwendigkeit auch auf kommunaler Ebene etwas für den Klimaschutz zu tun hat Stuhr bereits 2009 erkannt und gemeinsam mit Weyhe ein Klimaschutz-Aktionsprogramm auf den Weg gebracht, dass 2012 verabschiedet wurde. Auf dieser Grundlage konnte von 2015 bis 2017 ein Klimaschutzmanager eingestellt werden. Dieser hat insbesondere darauf hingewirkt, den Gedanken des Klimaschutzes in der Verwaltung und der Bevölkerung zu verankern. Zum Schutz des Klimas fördert die Gemeinde seit Anfang dieses Jahres die Anschaffung von Ladestationen für Elektroautos, Solarstromspeichern und Lastenfahrrädern.
Neben den Aktivitäten der Gemeinde soll an dieser Stelle das Engagement der Stuhrer Bürgerinnen und Bürger erwähnt werden, die sich in Vereinen, wie dem Nabu, dem Sportfischerverein BremenStuhr, den Fischereifreunden und dem Heimatverein Heiligenrode, der Arbeitsgruppe „Mehr Grün für Stuhr“ oder auch im privaten Rahmen für die heimische Natur einsetzen.
Ein wichtiger Beitrag zum Naturschutz ist auch die Stuhrer Baumschutzsatzung. Durch diese verpflichtet die Gemeinde sich sowie ihre Bürgerinnen und Bürger, große Laubbäume zu erhalten, da diese das Orts- und Landschaftsbild bereichern, zahlreichen Tierarten Lebensraum bieten sowie der Luftreinhaltung und dem Klimaschutz dienen.
Trotz der genannten Programme und Maßnahmen gibt es natürlich auch in Stuhr weiterhin Handlungsbedarf auf dem Gebiet des Natur- und Umweltschutzes, beispielsweise bei der Entwicklung von Ackerrandstreifen, der Renaturierung von Fließgewässern, dem Erhalt innerörtlicher Grünflächen, angesichts des zunehmenden Siedlungsdruckes im unmittelbaren Umland von Bremen, oder der Mobilitätswende.
Als Gemeinde, wie viele geschützte Arten beheimaten wir eigentlich in Stuhr? Wie werden diese geschützt?
Bei der Beantwortung der Frage ist zu berücksichtigen, dass es nicht den einen Schutzstatus gibt, sondern verschiedene Schutzkategorien auf europäischer (EU-Vogelschutzrichtlinie und Anhang IV der FFH-Richtlinie) und Bundesebene (Bundesartenschutzverordnung). Die Vogelschutzrichtlinie schützt sämtliche europäische Vogelarten, die Bundesartenschutzverordnung bis auf wenige Ausnahmen wie Waschbär, Hausmaus und Nutria nahezu alle Säugetiere soweit sie nicht dem Jagdrecht unterliegen. Ein weiteres Kriterium zur Beurteilung, der Schutzwürdigkeit einer Art ist neben den gesetzlichen Schutzkategorien der Gefährdungsgrad, der in den roten Listen des Bundes und der Länder wiedergegeben wird. Hinzu kommt, dass es in den vergangenen zwei Jahrzehnten (außer in der Steller Heide) keine systematischen Kartierungen der hiesigen Flora und Fauna gab. Die im Stuhrer Landschaftsplan aufgeführten Daten sind noch aus den 1990er Jahren und somit mittlerweile wenig aussagekräftig.
Die folgenden Angaben basieren auf den Angaben von Stuhrer Nabu-Mitgliedern, die in ihrem jeweiligen Fachgebiet über ausgezeichnete Artenkenntnisse verfügen, Daten des Landkreises Diepholz, Untersuchungen im Rahmen der Unterschutzstellung der Stuhrer FFH-Gebiete sowie eigenen Beobachtungen.
Insofern können an dieser Stelle nur beispielhaft einige aus Naturschutzsicht bedeutsame bzw. seltene Tier- und Pflanzenarten, die in Stuhr vorkommen, genannt werden.
Im Bereich der Avifauna (Vogelwelt) finden sich in Stuhr der Storch mit zurzeit 3 Brutpaaren, mehrere Eulenarten (Schleiereule, Sumpf- und Waldohreule, Waldkauz, Steinkauz und Uhu) sowie diverse Greifvögel (Habicht, Mäusebussard, Sperber und Rohrweihe). Regelmäßig beobachtet werden kann auch der auffällige Eisvogel. Gefährdete in Stuhr brütende Singvögel sind der Gartenrotschwanz, der Pirol und die Nachtigall sowie das stark gefährdete Braunkehlchen. Stark Rückläufig ist leider die Zahl der Wiesenvögel. Lediglich der Kiebitz verzeichnet in den Kladdinger Wiesen noch vereinzelte Bruterfolge, als regelmäßige Gastvögel kommen Uferschnepfe und Bekassine vor.
Von den in den Stuhrer Bächen lebenden Fischarten sind die geschützten bzw. stark gefährdeten Neunaugen (die keine Fische im engeren Sinne sind, sondern zu den sogenannten Rundmäulern gehören), der vom Aussterben bedrohte Bitterling, sowie die gefährdeten Steinbeißer und Quappen bemerkenswert. Die im Gemeindegebiet vorkommenden neun Lurch-Arten sind sämtlich geschützt, besonders selten sind der gefährdete Moorfrosch und der Kammmolch.
Von der ungeheuren Vielzahl der Insekten sollen hier nur die Libellen und Schmetterlinge sowie Bienen und Grabwespen genannt werden. In Stuhr kommen 30 verschiedene geschützte Libellenarten vor, darunter 10 gefährdete bzw. stark gefährdete Arten, wie die Kleine Binsenjungfer und die Gefleckte Heidelibelle. Von über 70 vorkommenden Schmetterlingsarten sind fünf geschützt, so der Braune Bär und der Gemeine Bläuling. Ein Verbreitungsschwerpunkt seltener Stechimmen ist die Steller Heide. Hier konnten 140 zum Teil vom Aussterben bedrohte Wildbienenarten und 112 Grabwespenarten nachgewiesen werden.
Im Pflanzenreich sind als geschützte botanische Besonderheiten die gelbe Teichrose, die SumpfSchwertlilie, die gefährdeten Arten Sumpfschlangenwurz (auch Drachenwurz oder Sumpfcalla) und Königsfarn sowie das ebenfalls gefährdete breitblättrige Knabenkraut (eine Orchideenart) zu nennen.
Keine geschützten, aber dennoch seltene und in Niedersachsen gefährdete, Arten sind die Schwanenblume, die Sumpfdotterblume und der Sand-Thymian. Selten sind ebenfalls der WiesenPippau, die Wasserfeder, das Sumpfblutauge und das Sumpf-Veilchen.
Die aufgeführten Beispiele zeigen anschaulich, dass es auch in einer dicht besiedelten und intensiv genutzten Region wie der Gemeinde Stuhr gelingen kann, Refugien für geschützte Arten zu schaffen und zu bewahren.
Sind die genannten Maßnahmen denn erfolgreich? Wie messen sie den Erfolg der Projekte zum Naturschutz?
Der Erfolg der genannten Naturschutz-Maßnahmen lässt sich nur teilweise bestimmen. Gerade im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit ist es schwer zu messen, ob durch diese die Bevölkerung zu konkreten Verhaltensänderungen bewegt wird.
Der Effekt der kommunalen Naturschutzmaßnahmen wird insbesondere nach Maßgabe der sich entwickelnden Vegetation beurteilt, da davon auszugehen ist, dass eine vielfältige Vegetation auch eine artenreiche Tierwelt beherbergt. Insbesondere artenreiche Grünlandbestände kommen ganz überwiegend nur noch auf extensiv genutzten Flächen der Gemeinde und auf den Flächen des kommunalen Feuchtwiesenprogrammes vor. Daraus lässt sich schließen, dass kommunale Naturschutzmaßnahmen wesentlich zum Erhalt dieses Lebensraumtypes beitragen.
Stichprobenartig wird, insbesondere durch engagierte ehrenamtliche Vertreter des Nabu, auch die Fauna der gemeindlichen Biotope untersucht. Hier lässt sich feststellen, dass die von der Gemeinde bzw. dem Nabu angelegten oder gepflegten Biotope eine Tierwelt beherbergen, die auf den umliegenden intensiv genutzten Agrar- und Siedlungsflächen nicht zu finden ist. Neben den genannten Grünlandflächen sind hier insbesondere von der Gemeinde angelegte Kleingewässer zu nennen, die sich zu bedeutsamen Lebensräumen speziell für Amphibien und Libellen entwickelt haben. Auch die erst in jüngster Zeit angelegten Blühflächen ziehen, soweit sie sich gut entwickelt haben, eine Vielzahl von Insekten an.
Auch wenn nicht durch jede Naturschutzmaßnahme umgehend der angestrebte Erfolg erzielt werden kann, lässt sich mit Sicherheit sagen, dass die Vielfalt an Lebensräumen und Arten in Stuhr ohne die gemeindlichen Naturschutzmaßnahmen bedeutend geringer wäre.
In Wohngebieten wie zum Beispiel entlang der Weyher Straße wurde im Grünstreifen erfolgreich insektenfreundliche Blumensaat ausgebracht, um die Artenvielfalt zu erhalten. Was tut die Gemeinde darüber hinaus gegen das Insektensterben?
Die Gemeinde hat in den vergangen Jahren nicht nur im besiedelten Bereich, sondern auch in der freien Landschaft Blühstreifen, zum Teil auch in Kooperation mit den ortsansässigen Landwirten, angelegt.
Weiterhin wird im Rahmen von Kompensationsmaßnahmen regelmäßig Ackerland in extensives Grünland umgewandelt, welches vielen Arten einen Lebensraum bietet. Auch das bereits genannte
Feuchtwiesenprogramm dient dem Erhalt blütenreichen, extensiven Grünlandes. Bei den jüngsten Grünlandextensivierungen wurden besonders blühpflanzenreiche regionale Saaten eingesetzt, um auf ehemaligen Ackerstandorten in verhältnismäßig kurzer Zeit ein artenreiches Grünland zu entwickeln.
Weiterhin dienen die Neuanlage von Teichen und die Renaturierung von Bächen der Schaffung von Lebensraum, unter anderem für wasserliebende Insekten.
Die Gemeinde verzichtet zudem auf öffentlichen Grünflächen auf den Einsatz von Pestiziden. Bei der Pflanzung von Gehölzen werden nach Möglichkeit einheimische Arten bevorzugt, die ebenfalls als Nahrungsgrundlage für die hiesige Insektenfauna dienen. Die Eiche dient beispielsweise 500 Insektenarten als Lebensraum, heimische Sträucher wie Weißdorn oder Schlehe immerhin über 100 Arten.
Gibt es während dieser außergewöhnlichen Sommer (2019 und 2018) vermehrt Baumwässerungen? Wenn nein: Sind diese zumindest zukünftig geplant?
Alle neugepflanzten Bäume sind wöchentlich bewässert worden. 2018 sind zusätzlich auch ältere Straßenbäume, zum Teil über sogenannte Wassersäcke, bewässert worden. Diese Bewässerung wird auch künftig in Zeiten anhaltender trockener Witterung notwendig sein.
Die Hitze und Trockenheit schadet auch vielen kleinen Gewässern und deren Lebewesen, was planen sie zur Unterstützung der Amphibien, Fische uvm. zu unternehmen?
In der Tat ist in den vergangenen beiden Jahren eine Vielzahl der Stuhrer Stillgewässern trockengefallen. Dies kann je nach Jahreszyklus der jeweiligen Arten zu einer erheblichen Dezimierung der jeweiligen Tierpopulation führen. Insbesondere Fische und Libellen haben unter der außergewöhnlichen Trockenheit gelitten. Auch bei einigen seltenen in Stuhr bislang vorkommenden Pflanzenarten, wie der Sumpfschlangenwurz oder der Wasserfeder bleibt abzuwarten, wie sie die Trockenphasen der vergangenen Jahre überstanden haben.
Dennoch ist die Austrocknung im Grunde genommen – wenn auch mittlerweile vermutlich durch den anthropogenen Klimawandel bedingt – ein natürlicher Prozess, der nicht durch künstliche Maßnahmen, wie das Einleiten von Grundwasser, beeinflusst werden sollte. Einige Arten profitieren sogar von der Austrocknung, beispielsweise Amphibien, da es im Folgejahr weniger Laichräuber in Form von Fischen gibt, oder Pflanzenarten der sogenannten einjährigen Schlammflur, welche die trockengefallenen Bereiche der Teichufer besiedeln.
Borkenkäfer und Hitze. Immer wieder hört man, dass die Wälder sehr unter den Folgen des Klimawandels leiden. Wie ist die Lage in Stuhr?
Die Borkenkäferproblematik ist in Stuhr momentan noch nicht so akut wie beispielsweise in Südniedersachsen. Erster Befall ist jedoch zu beobachten. Der Fichtenanteil in den Stuhrer Wäldern allgemein und insbesondere in den gemeindeeigenen Wäldern ist glücklicherweise eher gering, so
dass nach heutigem Kenntnisstand auch eine Ausweitung des Befalles keine dramatischen Auswirkungen auf die Stuhrer Wälder haben wird. Inwieweit künftig auch Kiefernwälder vom Borkenkäfer befallen werden bleibt abzuwarten.
Vor allem ist jedoch zu befürchten, dass bei weiter anhaltender Trockenheit die Buchenbestände Probleme bekommen werden. Erste Hinweise hierfür lassen sich im Heiligenroder Klosterwald leider schon beobachten.
Als Maßnahme gegen den Klimawandel wird die Aufforstung als eine Maßnahme vorgeschlagen. Braucht Stuhr mehr Bäume? Gibt es Flächen in unserer Gemeinde für eine Aufforstung?
Die Gemeinde Stuhr ist vergleichsweise waldarm. Durch die Pflanzung der Stuhrer Babywälder, auf Initiative und mit Unterstützung der Arbeitsgruppe „Mehr Grün für Stuhr“ konnte der Waldanteil jedoch in den vergangenen Jahrzehnten erheblich erhöht werden. Bislang wurden ca. 30 ha mit standortgerechten einheimischen Baumarten, wie Eiche, Linde, Hainbuche und Esche bepflanzt.
Zusätzlich zu den Babywäldern wurden in den vergangen Jahrzehnten ca. 12 ha sonstiger Wald aufgeforstet.
Infolge erheblich gestiegener Grundstückspreise und zunehmender Knappheit auf dem Grundstücksmarkt sind zukünftige Anpflanzungen nur noch unter hohen finanziellen Aufwendungen realisierbar. Es ist zu hoffen, dass weiterhin ausreichend Finanzmittel hierfür zur Verfügung gestellt werden können. Hinsichtlich neuer Wälder besteht zusätzlich zu den Kosten das Problem, dass die Naturschutzbehörde die Aufforstung feuchter Niederungsbereiche als Ausgleichsmaßnahme zunehmend kritisch sieht, da diese Flächen auch als Standort für artenreiches Feuchtgrünland geeignet sind. Auch gegenüber der Landwirtschaftskammer muss sich die Gemeinde rechtfertigen, wenn sie landwirtschaftliche Flächen im Rahmen von Kompensationsmaßnahmen aus der Nutzung nimmt.
Neben der Anlage neuer Wälder ist es im Rahmen der Klimaanpassung insbesondere wichtig, dass der Baumbestand im Siedlungsbereich geschützt und gefördert wird. Gerade die stadtnahen Ortsteile Brinkum, Stuhr, Moordeich und Varrel erleben derzeit einen erheblichen Bebauungsdruck der zu einer stärkeren Verdichtung des Siedlungsraumes führt. Dank der Stuhrer Baumschutzsatzung ist der Baumbestand im Gemeindegebiet zwar bestmöglich geschützt, allerdings können bei bestehendem Baurecht in Einzelfällen auch geschützte Bäume gefällt werden. In diesen Fällen erfolgt jedoch grundsätzlich eine Ersatzpflanzung im Gemeindegebiet. Dennoch werden nicht geschützte Gehölzbestände im Zuge von Neubaumaßnahmen regelmäßig beseitigt und beispielsweise durch Parkplatzflächen ersetzt. Aus Sicht des Umweltbeauftragten ist es daher überlegenswert, ob die Gemeinde den Erhalt bestehender Bäume und die Pflanzung neuer Laubbäume oder einheimischer Sträucher auf privaten Grundstücken durch geeignete Instrumente zusätzlich fördert.